Weshalb Barrierefreiheit keine Option ist

… sondern ein Muss. Die digitale Barrierefreiheit wird gerne als nice-to-have-Erweiterung betrachtet, die man am besten kurz vor Projektende noch schnell «installiert».

Wird man dann mit Kosten konfrontiert, die das Budget massiv überschreiten – ja was denkst du wie wohl der Entscheid ausfallen wird? Die kleine Zielgruppe mit den paar Blinden können wir vernachlässigen.

Zuerst muss ich das kurz richtigstellen

Vielleicht konntest du die Ironie oben finden. Bevor du diese Seite wieder verlässt, würde ich das noch gerne richtigstellen.

nice-to-have-Erweiterung

Barrierefreiheit ist natürlich keine Erweiterung, die man schnell installieren kann, sondern gehört von Anfang an in die Konzeptphase integriert. Auch nach Go-Live braucht es regelmässige Analysen, wie das auch für Usability (Benutzerfreundlichkeit) und SEO gemacht wird.

Höhere Kosten

Die Mehrkosten können massiv gesenkt werden, wenn die Barrierefreiheit von Anfang berücksichtigt wird.

Falls du mit deiner Website Geld verdienst, gleichst du dir diese Mehrkosten vermutlich durch die resultierende Steigerung der Besucherinnen und Besucher aus.

Falls du mir das jetzt nicht glaubst, schaffe ich es vielleicht noch später in diesem Artikel dich zu überzeugen.

Was bedeutet diese Barrierefreiheit überhaupt?

Kurz ein Schritt zurück. Viele haben Mühe sich etwas unter dem Begriff Barrierefreiheit vorzustellen.

Im digitalen Kontext bedeutet es, Hürden aus dem Weg zu schaffen, um allen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Gesellschaft einen gleichberechtigten Zugriff auf Informationen zugänglich zu machen.

Digitale Informationen müssen redaktionell und technisch so aufbereitet sein, dass sie auch konsumiert werden können wenn das Seh- oder Hörvermögen, die motorischen oder sprachlichen Fähigkeiten eingeschränkt sind.

Menschen verwenden manchmal (assistierende/assistive) Hilfsmittel, die ihnen dabei helfen digitale Informationen zu konsumieren. Dies kann Hardware oder Software sein und kann beispielsweise beim Navigieren helfen oder Inhalte vorlesen oder stark vergrössern.

Daher sind Optimierungen für die Barrierefreiheit nichts anderes als, eine maschinenlesbare Aufbereitung der Informationen.

Vielleicht fühlst du dich noch nicht betroffen. Weiter unten zeige ich dir auf, wieso auch du zu dieser «Zielgruppe» gehörst.

Das gilt doch nur für Behörden

Ja, theoretisch sind heute nur Verwaltungen und staatsnahe Betriebe zur digitalen Barrierefreiheit verpflichtet. Die Bundesverfassung verpflichtet uns zwar alle gleich zu behandeln, den Hundefuttershop zum barrierefreien Webshop zu zwingen reicht dafür aber nicht aus. Für privatwirtschaftliche Webauftritte lohnt sich die Berücksichtigung der Barrierefreiheit aber trotzdem.

Weiter oben habe ich etwas von «maschinenlesbar» geschrieben. Ja, Google ist eine Maschine und blind.

Obwohl es – Gott sei Dank – keine offizielle Erhebungen von Behinderungen gibt, wird von einer betroffenen Bevölkerung von 15 bis 20 Prozent ausgegangen. Diese Schätzungen stammen von namhaften Quellen wie der WHO oder Stiftung Zugang für alle.

Es gibt mehr Betroffene als du vielleicht glaubst

Obwohl die blinden Menschen, genau so wie alle anderen, gleichberechtigter Zugang auf Informationen verdienen, finde ich es noch wichtiger zu verstehen, dass die Bemühungen im Bereich der Barrierefreiheit nicht nur ihnen dient.

Wenn wir beim Sehvermögen bleiben, sind die Ausprägungen von Erkrankungen, Unfällen und temporären Einschränkungen sehr vielfältig. Der kleinste Teil davon gilt als blind. Hast du beispielsweise gewusst, dass man bei 8 Prozent aller Männer von einer Rot/Grün-Sehschwäche ausgeht?

Zudem wird unsere Gesellschaft immer älter. Wie du sicher weisst, kann das Sehvermögen im Alter nachlassen, wir hören eventuell nicht mehr gut oder unsere motorischen Fähigkeiten könnten nicht mehr ganz so präzise sein wie die eines jungen Menschen. Es wäre falsch davon auszugehen, dass die ältere Gesellschaft auf Technik und digitale Informationen verzichtet, welche zum Teil bereits heute nicht mehr analog zur Verfügung stehen.

Wieso wir alle von Barrierefreiheit profitieren können

Selbstverständlich haben wir keine Garantie, dass wenn wir heute keine Beeinträchtigung haben, dies morgen immer noch so ist.

Wieso Barrierefreiheit ausschliesslich alle angeht und stark mit Usability in Verbindung steht, sind temporäre und situationsbedingte Einschränkungen.

Beispiele dafür können sein:

  • Starkes einfallendes Licht auf den Monitor verunmöglichen die Lesbarkeit von Text mit schwachem Kontrast;
  • Die ruckige Busfahrt lassen es nicht zu, dass ich den kleinen Link oder Button klicke;
  • Der eingegipste und gebrochene Arm veranlassen mich nur eine Hand für die Bedienung zu verwenden;
  • Mithilfe von Videountertiteln kann ich auch in einer Umgebung, die nicht gestört werden möchte oder sehr laut ist, verstehen um was es geht.

Du kannst dir vorstellen die möglichen Szenarien sind unendlich.

Seite aus dem Inclusive 101 Toolkit Flyer von Microsoft Design: microsoft.com/design/inclusive

Infografik mit Menschen, die permanent, temporär oder situativ in den vier verschiedenen Sinnen Berührung, Sehen, Hören, Sprechen eingeschränkt sind.

Gedanken zur Umsetzung

  • Das Bewusstsein ist der erste und der wichtigste Schritt. Barrierefreiheit ist wichtig und wird es immer mehr.
  • Über einen Experte verfügen die wenigsten inhouse. Daher lohnt sich ein Audit durch externe Profis.
    • Automatische Tests alleine reichen nicht aus, zeigen meist nur die «halbe Miete» und können verfälscht werden.
    • Lasse dir von einem Profi erklären was die schwerwiegendsten Probleme sind und welche Änderung den grössten Impact ausmachen würde. Priorisiere deine Anpassungen danach.
    • Barrierefreiheit sollte nicht als Endzustand sondern als laufenden Prozess betrachtet werden.
  • Für nachhaltige Verbesserungen sollten Redakteurinnen und Redakteure geschult und sensibilisiert werden, wie z.B. in
    • der Erstellung von strukturierten Inhalten;
    • dem Hinzufügen von Alternativtexten bei Nicht-Text-Elementen;
    • dem bewussteren Einsatz von Farben;
    • usw.

Beitragsbild von Priscilla Du Preez auf Unsplash